"Genieße die Zeit mit deinem/n Kind/ern, sie werden ja so schnell groß."
So sehr dieser tolle Spruch mich während der ersten Zeit mit
meiner Tochter genervt hat, so weiß ich doch mittlerweile, dass etwas Wahres
dran ist. Jeder Moment mit unseren
Kindern ist kostbar und wir sollten ihn genießen. Doch leider geht diese Erkenntnis im stressigen Alltag mit
kleinen Kindern oft unter. Warum fällt das Genießen der Baby- und Kleinkindzeit
vielen Eltern so schwer? Was können wir tun, um unseren Familienalltag zu
entspannen und die Elternzeit mehr zu genießen?
Eigentlich scheint es eigentlich gar nicht so lange her,
dass ich meine Tochter vor 2 1/2 Jahren genauso gestillt, herumgetragen und
-geschaukelt habe, wie jetzt ihren kleinen Bruder - und doch kann ich mich an
viele Details gar nicht mehr so recht erinnern. Hat sie auch immer so süß die
Wärmelampe über dem Wickeltisch angestrahlt? Hat sie auch diese herzigen
Gurrgeräusche beim Schlafen gemacht? In welchem Alter konnte sie ihr Köpfchen wie
gut kontrollieren?
Und daraus folgt dann unweigerlich die Erkenntnis: Ich
hätte alles viel genauer dokumentieren, mehr Fotos machen - und vor allem viel
mehr genießen sollen! Doch warum habe ich das damals nicht wirklich geschafft?
Warum fällt das Genießen der Baby-/Kleinkindzeit vielen Eltern so schwer?
Bei mir spielten dabei sicherlich die folgenden Aspekte eine Rolle:
- Müdigkeit / Erschöpfung
- Überforderung
- falsche Hoffnungen / Erwartungen
- unrealistische Ansprüche
- die schnelle Entwicklung unserer Kinder.
Meine Baby-Tochter war zwar süß und wunderbar, schrie aber
leider auch sehr viel, schlief wenig und ließ sich schwer beruhigen- ein klassisches High Need Baby. Ich weiß
bis heute nicht wirklich, was ihr fehlte und war dementsprechend überfordert. Diverse
Hausmittelchen gegen die berüchtigten Koliken (dazu möchte ich definitiv noch
einen gesonderten Artikel schreiben), Arzt- und Osteopathenbesuche blieben ohne
nennenswerte Wirkung - außer Stress und enttäuschten Hoffnungen bei mir.
Das einzige, was
einigermaßen half, waren Stillen und Tragen bzw. schaukeln (auch diesem Thema
möchte ich noch einen eigenen Artikel widmen). So konnten wir das Schreien zwar
etwas reduzieren und kamen nicht an die gängige Definition für ein Schreibaby
(3 Stunden Schreien täglich über einen Zeitraum von mehr als 3 Wochen) heran.
Anstrengend und nervenzehrend war es aber trotzdem, von Genießen der Elternzeit keine Spur.
Durch den Schlafmangel und das ständige Stillen, Tragen und
Im-Kinderwagen-Herumfahren (selbstverständlich nur, nachdem ich sie vorher im
Tragetuch zum Schlafen gebracht hatte...) war ich teilweise körperlich einfach
total erschöpft, was sich natürlich auch nicht positiv auf die Stimmung
auswirkte - zum Dokumentieren, Fotografieren und Genießen hatte ich deshalb einfach oft
weder Zeit noch Lust.
Zudem sehnte ich damals gedanklich mehr das Ende der
Babyzeit herbei, als dass ich sie festhalten wollte. Jeder Entwicklungssprung bedeutete
für mich die Hoffnung auf Besserung meiner Situation. Denn auch dieses beliebte
Elternmantra ist tatsächlich wahr:
Ja, so unglaublich es auch in verzweifelten Momenten bzw.
Nächten klingt, Babys werden tatsächlich älter und schreien weniger. Ob das
insgesamt weniger anstrengend ist, sei dahingestellt, denn schließlich schlafen
sie auch weniger, und ihr Bedürfnisse sind komplexer zu erkennen und zu
befriedigen... Doch das wusste ich damals nur in der Theorie und wartete
sehnlichst darauf, dass meine Tochter älter würde.
Ein weiterer Punkt, der mir das Genießen der Elternzeit so
schwer machte, war die große Veränderung meiner Lebensumstände durch die Geburt
meiner Tochter. Verstärkt wurde diese Veränderung bei mir sicherlich noch durch
den Umzug in eine neue Stadt mit Beginn des Mutterschutzes. Aber auch ohne
Umzug hätte inser High-Need-Baby mein Leben ganz schön auf den Kopf
gestellt.
Mir fehlten meine Arbeit, die mir immer großen Spaß gemacht
hatte, der Austausch mit meinen lieben Kollegen und ja, sicherlich auch die
kleinen Erfolgserlebnisse und die Bestätigung, dass ich gut war in dem, was ich
tat. Freunde und Familie hatten keine gleichaltrigen Kinder, wohnten weiter weg
und / oder gingen tagsüber arbeiten. Dementsprechend waren sie - genauso wie
mein Mann - tagsüber in ihren Alltag eingebunden, sodass ich tagsüber meinemBaby weitestgehend auf mich allein gestellt war.
Auch viele meiner liebsten Freizeitaktivitäten wie Reiten,
Radfahren, Reisen oder Tai Chi waren nicht mehr oder nur noch sehr
eingeschränkt möglich - und selbst Lesen, Fernsehen oder Telefonieren geht
weniger gut, wenn man dabei auf einem Gymnastikball wippt oder mit einer Hand /
einem Fuß den Kinderwagen schaukelt, während man über das Handy Föhngeräusche, aka weißes Rauschen, hört.
Neben all diesen äußeren Faktoren waren es auch meine
Ansprüche an mich selbst, die mir zu schaffen machten. Unbedingt wollte ich
eine "gute" Mutter sein, alles "richtig" machen und alleine
schaffen. Meine eigenen Bedürfnisse stellte ich möglichst zurück, um meinem
Mann bei der Arbeit den Rücken freizuhalten und mein Baby zufrieden zu stellen.
Gleichzeitig machte ich mir Vorwürfe, die Baby- und Elternzeit so wenig genießen zu können
und durch meine eigene Unzufriedenheit mit Schuld an der Unausgeglichenheit
meiner Tochter zu tragen.
Tja, und dann ist da noch die seltsame Tatsache mit der
veränderten Zeitwahrnehmung als Eltern. Ich habe manchmal das Gefühl, in
richtig gehende Zeitlöcher zu fallen. Zum einen liegt das sicher an der Mischung
aus Hormonen und Schlafmangel. So kann es bei mir vorkommen, dass ich "nur
mal eben" stillen oder ein Buch vorlesen wollte, und wenn ich das nächste
Mal auf die Uhr schaue, ist eine Stunde vergangen (und ich habe das selbe Buch
17x hintereinander vorgelesen 😉). Zum
andren hängt das verzerrte Zeitgefühl sicher auch damit zusammen, dass kleine
Kinder so unheimlich schnell wachsen und sich weiter entwickeln. Stillstand
gibt es in diesem Prozess nicht wirklich, kein Tag ist wie der andere. Und wenn
der nächste Entwicklungsschritt oder die nächste Kleidergröße erst einmal
erreicht sind, ist die Stufe davor unwiederbringlich verloren. Dadurch fliegt
für die begleitenden Erwachsenen die Zeit gefühlt nur so dahin.
Rückblickend oder von außen betrachtet also eine mehr als
ungünstige Konstellation von Umständen - doch was kann man dagegen tun, um die Eltern-Zeit mehr zu genießen?
Wie kann ich die Baby- und Kleinkindzeit wirklich genießen?
Die folgenden Maßnahmen haben mir geholfen, aus dem
Teufelskreis von Müdigkeit, Enttäuschung und Einsamkeit heraus zu kommen und
den Familienalltag zu entspannen:
- Gleichgesinnte suchen: Baby- /Mutter-Kind-Kurse, Stillcafés, Krabbelkruppen oder auch (Indoor-)Spielplätze bieten Eltern die Gelegenheit, andere Familien mit ähnlichen Einstellungen und Interessen kennen zu lernen. Der Austausch kann helfen, die eigene Situation aus einer anderen Perspektive zu sehen, bietet Abwechslung, und liefert sicherlich auch den einen oder anderen hilfreichen Tipp für den Alltag.
- Um Unterstützung bitten / Hilfe annehmen: So schwer mir dieser Aspekt auch fällt, so wichtig ist er doch. Das muss ja nicht gleich bedeuten, dass uns die Schwiegermutter die Unterwäsche faltet. Unterstützung kann so vielfältig sein, dass es sicher etwas gibt, dass zur eigenen Situation passt. Vielleicht kann die Schwiegermutter lieber einen Kuchen backen - oder einen Gutschein für eine Haushaltshilfe schenken?
- Momente / Entwicklungsschritte festhalten: Fotos machen, Fotobücher erstellen, Entwicklungstagebuch führen - all das kostet Zeit und wird schnell zur ungeliebten Aufgabe oder sogar Belastung. Deshalb ist es hilfreich, eine Methode zu finden, die einem wirklich Spaß macht. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wer keinen Spaß an reinen Fotos hat, füllt vielleicht ein Büchlein mit vorgegebenen Kategorien aus, markiert das Wachstum mit Hilfe einer Messlatte, oder macht in regelmäßigen Abständen Fotos mit den sogenannten Milestone Cards oder einen Hand- bzw.Fußabdruck von seinem Kind mit Fingerfarben bzw. Gips?
- Auszeiten nehmen: Manchmal hilft etwas Abstand, eine neue Perspektive zu gewinnen, aus der heraus wir weniger schöne Situationen eher akzeptieren oder sogar kreative Lösungsansätze entwickeln können. Dabei reichen manchmal schon wenige Minuten für ein leckeres Essen, ein schönes Bad oder einen Powernap. Und so undenkbar es für viele (vor allem stillende Mütter) auch scheinen mag - in den allermeisten Fällen kommt der andere Elternteil, Verwandte, Freunde oder Babysitter auch mal einen Moment ohne die Hauptbezugsperson(en) aus.
- eigene Wünsche / Bedürfnisse ernst nehmen: Das ist auch so ein Punkt, bei dem ich definitv noch an mir selbst arbeiten muss... Natürlich stehen vor allem in den ersten Lebensmonaten die kindlichen Bedürfnisse im Vordergrund. Dennoch sollten die Bedürfnisse der Eltern nicht völlig unter den Tisch fallen - denn auch die Kinder profitieren letzendlich von entspannten, zufriedenen Eltern.
- realistische Erwartungen: Natürlich können wir auch und gerade als junge Eltern nicht alles (sofort) haben. Viel Zeit mit Kind und Familie verbringen, schneller Wiedereinstieg in den Job, perfekt geführter Haushalt, viele Hobbies, aktives Sozialleben und am besten noch nebenbei Umzug und chinesisch lernen- alles schön und gut, aber der Tag hat nunmal nur 24 Stunden, und der Schlaf kommt ja bei vielen Eltern sowieso schon zu kurz. Letztendlich müssen wir für uns selbst entscheiden und möglich klar der Familie kommunizieren: Was ist uns wirklich wichtig ist? Wie viel Zeit können und wollen wir für die verschiedenen Lebensbereiche aufbringen?
- Kompromisse finden: Wie so oft im Leben ist auch im Familienalltag nicht alles schwarz oder weiß, blitzblanke Wohnung oder Messiehöhle, liebevolle Kinderbetreuung oder totale Vernachlässigung, aktives Sozialleben oder Einsiedlertum - die Realität liegt meist irgendwo dazwischen. Vielleicht gönnt man sich ab und an eine Babysitterin, macht Touren mit dem Fahrradanhänger statt Mountainbiking, trägt das Baby beim Staubsaugen im Tragetuch und lässt das Wischen für später..?
- Zeit für die kleinen Dinge nehmen: Das Gesicht unseres Kindes beim Schlafen oder beim konzentrierten Spielen beobachten, zusammen Seifenblasen fangen, Grimassen schneiden, einer Schnecke beim Krabbeln zusehen, Sandkuchen backen und essen, ein Lied singen oder einfach nur kuscheln - all diese Dinge sind keine to-do-Liste zum Abhaken, sondern ergeben sich spontan im Zusammensein mit Kindern - wenn wir uns die Zeit dafür nehmen. Sie sind nicht nur wertvoll für unsere Kinder und unser Verhältnis zueinander, sondern können auch uns Eltern eine neue Welt eröffnen - eine Welt, in der alles möglich ist und die Zeit stillstehen kann.
"Zeit, die wir uns nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt." (Ernst Ferstl)
Wie Ihr Euch denken könnt, klingen diese Maßnahmen sehr gut
in der Theorie, sind aber in der Praxis nicht immer so leicht umzusetzen. Viele
Aspekte werden meiner Erfahrung nach auch weit über die Babyzeit hinaus immer
wieder aktuell. Gerade jetzt seit das zweite Kind da ist, finde ich es
schwierig, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu erkennen und zuerfüllen. Dementsprechend wird das Thema Genießen der Baby- und Kleinkindzeit sicherlich auch in den nächsten
Blogbeiträgen immer wieder auftauchen… 😉
Wie habt Ihr Eure
(erste) Elternzeit erlebt? Welche Maßnahmen helfen Euch, die Baby- und
Elternzeit bewusst zu genießen? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare!
Hinweis zur Werbung: Bei den Links zu Produkten in diesem Beitrag handelt es sich um so genannte affiliate links. Wenn ihr über diese Links eines der Produkte bei amazon kauft, erhalte ich einen kleinen Betrag - natürlich ohne zusätzliche Kosten für euch als Käufer.
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Ja ich glaube, die "realistischen Erwartungen" sind ein wichtiger Punkt, der (bzw. dessen Fehlen) uns in der ersten Zeit mit Baby zu verunsichert. Denn woher sollen wir diese realistischen Erwartungen erhalten? Woher sollen wir wissen, wie anstrengend denn wirklich so ein Baby sein kann? Oftmals wird es ja heruntergespielt oder ganz verschwiegen, weil sich junge Eltern schämen, dass sie mit ihrer Elternrolle nicht klarkommen. Es ist ein Teufelskreis, den wir vielleicht mit unseren Mama-Blogs etwas durchbrechen können ;-)
AntwortenLöschenSchön, dass Du Dich an meiner Herzpost-Aktion beteiligt hast!
LG Wiebke